Am 1. Juni 2000 trat in Schweden die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen in Kraft. Seit jenem Tag genießt die jiddische Sprache in Schweden den Status einer Minderheitensprache, auf gleichem Fuße mit Finnisch, Samisch, Romani und Meänkieli (Tornedalfinnisch). 

Für all diese Idiome war die offizielle Anerkennung gleichbedeutend mit einem Geldsegen, denn die schwedische Regierung unterstützt und fördert die Minderheiten im Land und deren Sprachen und Kulturen mit finanziellen Mitteln.

Für Jiddisch, welches unter Schwedens offiziellen Minderheitensprachen die wenigsten Sprecher zählt, ging der neue Status einher mit einer wahrhaften Renaissance, sowohl mit Blick auf seine Verwendung als auch auf seine Sichtbarkeit und sein Prestige. 

Wer also behauptet, dass die Anerkennung als offizielle Minderheitensprache zu den bedeutsamsten Ereignissen der 250-jährigen Geschichte des Jiddischen in Schweden gehört, übertreibt keineswegs.

Anlässlich des heutigen „Geburtstages“ des Jiddischen als Minderheitensprache in Schweden blicken wir zurück auf die 250-jährige Geschichte dieser Sprache in dem skandinavischen Land — von Aaron Isaak und den ersten Jiddischsprechern im 18. Jahrhundert bis hin zu den heutigen Jiddisch-Kursen an der Universität Lund und überregionalen jiddischen TV- und Radiosendungen. 

Neuzeitliche Spuren jüdischen Lebens und erste Jiddischsprecher

Die frühesten Spuren jüdischen Lebens in Schweden finden sich im 16. Jahrhundert. Wir wissen etwa, dass der schwedische König Gustav Vasa einen jüdischen Arzt hatte und dass Königin Christina (17. Jhdt.) Kontakt zu vielen bekannten Juden unterhielt und manche von ihnen auch für kürzere oder längere Aufenthalte nach Schweden einlud. Im Jahr 1685 wurde indes ein Gesetz verabschiedet, nach dem sich Juden, die sich im Königreich Schweden niederlassen wollten, taufen lassen mussten. 

Der erste Jude, der 1774 seinen Wohnsitz in Schweden nehmen durfte, ohne sich taufen lassen zu müssen, war der Kaufmann und Graveur Aaron Isaak aus Mecklenburg. Über ihn wissen wir relativ viel, da er eine Autobiografie hinterließ (die er übrigens in westjiddischer Sprache abgefasst hatte). Aaron Isaac war es gestattet, seine Familie und jüdische Freunde ins Land zu holen, damit er einen Minjan bilden und seine Religion ausüben konnte. Er gründete Schwedens erste jüdische Gemeinde in Stockholm und fungierte als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde und der jüdischen Minderheit.

Einwanderungswelle aus Osteuropa: Westjiddisch wird durch Ostjiddisch ersetzt

1782 nahm das schwedische Parlament das sogenannte „Judereglementet“ an: In der Folge durften sich Juden nur in den Städten Stockholm, Göteborg und Norrköping niederlassen und nur bestimmte Berufe ausüben. Interkonfessionelle Ehen waren verboten. 1838 wurde diese Regelung wieder abgeschafft und den Juden wurden mehr Rechte verliehen, ehe sie 1870 die rechtliche Gleichstellung erlangten.

In den 100 Jahren zwischen Aaron Issaks Ankunft in Schweden und der Gleichstellung 1870 waren die meisten Juden von Deutschland und den Niederlanden aus nach Schweden eingereist. In der Regel handelte es sich um gut situierte und an ihren Herkunftsorten gut integrierte Bürger. In Schweden assimilierten sie sich folglich vergleichsweise schnell, auch was die Sprache anbelangt. Es ist also davon auszugehen, dass das Westjiddische um das Jahr 1870 — dem Jahr, in dem die Juden in Schweden alle Bürgerrechte erhielten — nicht mehr verwendet wurde. 

Zu der Zeit, als das Westjiddische als gesprochene Sprache langsam verschwand, gab es eine Einwanderungswelle aus Osteuropa: Zwischen 1870 und 1910 flohen viele Juden aus den von Pogromen heimgesuchten Schtetlech in Russland. Etwa 4000 kamen nach Schweden, wodurch sich die jüdische Minderheit um das Vierfache vergrößerte. Die Neuankömmlinge waren in der Regel sehr religiös und ließen sich in den Arbeitervierteln der Großstädte nieder, insbesondere in Stockholm (Söder), Göteborg (Haga), Lund (Nöden) und Malmö (Öster). In den ersten zwei oder drei Generationen behielten sie das Ostjiddische, also die heute gesprochene Varietät, bei. Die erste Generation hatte es noch als Muttersprache, die zweite wuchs mit Jiddisch und Schwedisch auf und die dritte Generation verfügte zumeist nur noch über passive Jiddischkenntnisse.

Gerade als der Gebrauch des Jiddischen als Umgangssprache in Schweden an Bedeutung verlor, gab es eine weitere Einwanderungswelle aus Osteuropa, die der Sprache einen neuen Impuls verlieh. Überlebende des Holocaust, viele von ihnen aus Polen, kamen nach Schweden und ließen sich u. a. in der Textilstadt Borås nieder. Dort entstand in den Folgejahren eine Art Schtetl, ein Jiddischland mitten in Schweden, wo die meisten unter sich Łódźerjiddisch sprachen, da die große Mehrheit aus dem polnischen Łódź stammte. 

Aber auch nach diesem dritten Zustrom von Jiddischsprechenden kam nach zwei bis drei Generationen der Moment, wo der Gebrauch der Mameloschn — der Muttersprache ihrer Eltern und Großeltern — und die Weitergabe der Sprache an die Kinder langsam verebbte.

Unter anderem in den 1960-er- und 1990-er-Jahren kamen noch einmal kleine Gruppen osteuropäischer Juden aus Ungarn, Polen und der Sowjetunion nach Schweden. Ihre Hauptsprache war jedoch schon nicht mehr das Jiddische.

Eine neue Epoche: Status als Minderheitensprache

Auch wenn es nur wenig Input von außen gab, wurde Jiddisch in Schweden durchaus weiterhin gesprochen, etwa bei den verschiedenen Aktivitäten der jüdischen Gemeinden. Allerdings bleibt festzuhalten, dass der Gebrauch der Sprache allgemein rückläufig war und es größtenteils die Einwanderergruppe von 1945 gewesen ist, die die Sprache weiterhin aktiv verwendete. Mit anderen Worten: Ende des 20. Jahrhunderts waren die längerfristigen Aussichten für das Jiddische in Schweden nicht gerade rosig. 

Doch wieder gab es einen „Rettungsring“. Dieses Mal nicht im Rahmen einer neuen Einwanderungswelle Jiddischsprechender, sondern in Form eines europäischen Abkommens. 1992 nahm der Europarat eine Charta an, die den Schutz der Minderheitensprachen in Europa zum Ziel hat. Voraussetzung dafür, als Minderheitensprache und somit für den Schutz durch die Charta in Betracht zu kommen, sind im Wesentlichen drei Dinge: Es muss sich um eine Sprache handeln, nicht um einen Dialekt. Die Sprache muss im betreffenden Land mindestens über drei Generationen hinweg oder etwa 100 Jahre gesprochen worden sein. Und schließlich müssen die Sprecher der betreffenden Sprache selbst die Anerkennung als Minderheitensprache wollen. Jiddisch erfüllt all diese Voraussetzungen. Schweden ratifizierte die Charta Anfang 2000 und sie trat am 1. Juni 2000 in Kraft.

Nach der Anerkennung als offizielle Minderheitensprache gab es eine Reihe staatlicher Maßnahmen zur Unterstützung des Jiddischen: An der Universität Lund wurde ein einschlägiger Studiengang eingerichtet, an der Stockholmer Hillel-Schule wurden Sprachkurse in den Stundenplan aufgenommen, jiddische TV- und Radioprogramme gingen auf Sendung, z. B. Jiddisch far alle auf P1. Auch wurde ein jiddischer Kinderbuchverlag gegründet, Olniansky Tekst, der unter anderem den ersten Band der Harry-Potter-Reihe verlegt hat: Harry Potter un der filosofisher shteyn. Seit 2019 gibt es zudem einen Sprachrat für das Jiddische am nationalen Institut für Sprache und Folklore (Institutet för språk och folkminnen).

Die Anerkennung als nationale Minderheitensprache hat dem Jiddischen also eine neue Dynamik verliehen und für eine Renaissance der jiddischen Sprache und Kultur in Schweden gesorgt.