In der Welt des jiddischen Liedes ist Louisa Lyne „a malke“, eine wahrhafte Königin. Seit über zehn Jahren reist sie nun schon mit ihrer Band, Di Yiddishe Kapelye, kreuz und quer durch Schweden und ist außerdem Stammgast auf diversen Klezmerfestivals in Europa und Südamerika

Mit im Gepäck ist immer eine bunte Sammlung jiddischer Lieder — melancholische, poetische, zum Nachdenken anregende, aber auch witzige, aufmunternde und lebensbejahende. In ihrer Stimme liegt etwas Sentimentales und Verträumtes und gleichzeitig eine mitreißende Leidenschaft für jüdische Musik und die jiddische Sprache.

Bis dato sind vier Studienalben von Louisa Lyne & Di Yiddishe Kapelye erschienen — Debyut (2012), A Farblondzhete Blondinke (2015), Lust (2019) und A troym oyf a boym (2022): Ein stolze Sammlung erfrischender Interpretationen traditioneller jiddischer Lieder und neuer Eigenkompositionen.

Das neueste Album, A troym oyf a boym (Ein Traum von einem Baum), erschien vergangenen Sonntag und umfasst elf schwedische/jiddische Lieder mit ansprechenden pop- und weltmusikalischen Einflüssen. Ursprünglich wurden die Songs für das Kindermusical Dos verterbuk — om trädet som nästan dog (Das Wörterbuch — Vom Baum, der beinahe starb) geschrieben. 

Die eingängigen Melodien und Texte nehmen das Publikum mit auf eine Abenteuerreise in einen Zauberwald, wo der alte Baum Verterbuk immer mehr von seinen mit jiddischen Wörtern beschriebenen Blättern verliert und daher dringend Hilfe braucht. Das Musikmärchen ist eine schöne Allegorie der jiddischen Sprache im Allgemeinen, die ja zuletzt — in einem säkularen Kontext — eine richtige Renaissance durchlebt. Und das ist nicht zuletzt das Verdienst von engagierten Jiddischisten wie Louisa Lyne, die sich durch ihr Wirken und ihre Kunst unermüdlich für das Jiddische einsetzen. 

Cover des neuen Albums A troym oyf a boym. Artwork: Hans Forsell

Kurz vor der Veröffentlichung des vierten Albums hatten wir Gelegenheit, Louisa Lyne einige Fragen zu stellen — zu ihrer Leidenschaft für die jiddische Sprache und Musik, zu ihrer Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller und Übersetzer Salomon Schulman, zum Klezmerfestival in São Paulo und natürlich zu ihrer Berufung auf Jiddisch zu singen, um allen mitzuteilen, dass das Jiddische alles andere als verstaubt und vergessen ist.

Louisa, Deine Muttersprache ist Schwedisch, aber es ist sicherlich keine Übertreibung zu sagen, dass Deine Herzenssprache das  Jiddische ist. Erinnerst Du Dich an den Augenblick, in dem Du der jiddischen Sprache und Musik verfallen bist?

— Ich erinnere mich ganz genau an das erste Mal, wo ich ein jiddisches Lied hörte. Das war auf einem Konzert in Göteborg, auf dem Musikstudenten ein Klezmerprojekt vorstellten. Für mich war das ein spannendes und inspirierendes Erlebnis. Es vergingen dann aber mehrere Jahre, bis ich selbst anfing, auf Jiddisch zu singen. Und es zogen noch mehr Jahre ins Land, bis ich das schließlich professionell machte. Erst im Rückblick auf meine musikalische Reise sehe ich jetzt, dass ich immer wieder zu den jiddischen Liedern zurückgekehrt bin. Sie sind seit jenem Konzert in Göteborg mein Zufluchtsort, meine Leidenschaft und meine Freude. 

Als Musikerin ist Dein Zugang zu Sprache natürlich die Musik. Ist es auch vorrangig über die Musik — also durch Hören jiddischer Lieder —, dass Du Deine Jiddischkenntnisse auf dem Laufenden hältst? Oder wie feilst Du an Deinem Jiddisch? Liest Du viel? Gedichte, Romane … ?

— Ich spreche nicht fließend Jiddisch. Bei weitem nicht, leider. Und ich kann auch nur schwer einschätzen, wie gut es tatsächlich ist, da ich nur selten in Situationen komme, in denen ich üben kann. Hauptsächlich halte ich es durch jiddische Lieder am Laufen, die ich mir anhöre. Außerdem benutze ich die Sprach-App Duolingo, wann immer ich kann. Dieser Sprachkurs ist eine einfache und gemütliche Möglichkeit, die Sprache zu üben!

Hast Du eine bestimmte Vorgehensweise, wenn Du ein jiddisches Lied schreibst? Kommt erst die Melodie und dann der Text, oder ist es umgekehrt? Und schreibst Du direkt auf Jiddisch oder zunächst auf Schwedisch und übersetzt anschließend ins Jiddische?

— Ich schreibe keine eigenen Texte auf Jiddisch. Das traue ich mir schon kaum auf Schwedisch zu und schon gar nicht auf Jiddisch!  Im Moment auf jeden Fall noch nicht. Entweder vertone ich existierende Gedichte, mache Coversongs oder ich schreibe Texte auf Schwedisch, die Salomon Schulman übersetzt.

Wie genau läuft die Zusammenarbeit mit Salomon Schulman ab?

— Er ist ein guter Freund und Mitstreiter. Wir arbeiten eng zusammen, und er ist bei nahezu allen Liedern von mir involviert. Die Vorgehensweise variiert leicht, meistens aber übersetzt Salomon meine Liedertexte.

2012 erschien Euer Debutalbum Debyut“. Zehn Jahre später ist nun das vierte Album fertig, „A troym oyf a boym“. Ihr habt eine fantastische musikalische Reise hingelegt, die viele Menschen inspiriert hat — auch Leute, die sonst wahrscheinlich nicht mit jiddischen Liedern in Kontakt gekommen wären. Kommt es vor, dass Fans nach den Konzerten zu Euch kommen und sagen „wir sind so begeistert von den Liedern, dass wir jetzt selbst Jiddisch bzw. mehr über jüdische Kultur lernen möchten“?

— Diese Frage kann ich mit einem ganz klaren Ja beantworten. Ich höre oft, dass ich in anderen den Wunsch geweckt habe, mehr über Jiddisch und jüdische Kultur zu lernen. Seit 2018 geben wir regelmäßig Schulkonzerte in ganz Schweden, was eine unglaublich bereichernde Erfahrung ist. Das Schönste ist, wenn Kinder zu uns kommen und sagen, dass sie auch Jiddischsänger werden wollen, wenn sie groß sind. Das zu hören ist einfach fantastisch. 

Im September habt Ihr live auf dem Kleztival in Brasilien gespielt. Wie war es, nach zwei Online-Kleztivals vor Ort zu sein und endlich wieder andere Musiker und das Publikum zu treffen?

— Brasilien war eine wunderbare Erfahrung. Wir hatten drei volle Konzerte auf verschiedenen Bühnen in dieser gigantischen Stadt São Paulo, die Organisation war extrem gut. Die Reise war aber auch lehrreich. Wir haben die Stadt ohne Filter gesehen, mit viel Armut und Elend. Ich spüre eine tiefe Dankbarkeit, wenn ich daran denke, wie gut wir es in unseren Breitengraden haben. 


Weitere Infos zu Louisa Lyne & Di Yiddishe Kapelye, zu den vier Studioalben, zu anstehenden Konzerten sowie Links zu verschiedenen Musikvideos der Band finden sich auf Louisas Website: louisalyne.se