Am 25. November 1622 richtete der dänische König Christian IV. eine förmliche Einladung an die “Juden portugiesischer Nation”: Sie durften sich fortan im vom König neu gebauten Glückstadt in Holstein niederlassen. 

Diese königliche Einladung markiert den Beginn der dänisch-jüdischen Geschichte, deren 400-Jahre-Jubiläum 2022 und 2023 mit einer Reihe von Veranstaltungen, Ausstellungen, Buchveröffentlichungen usw. begangen wird.

Aber wer sind eigentlich die dänischen Jüdinnen und Juden, wo genau kommen sie her, welche Geschichte und Traditionen haben sie mit ins Land gebracht? Die dänische Kulturjournalistin Heidi Laura geht im nachstehenden Artikel auf diese Fragen ein.


Jüdisches Leben in Dänemark

Von Heidi Laura *

Seit dem 17. Jahrhundert sind Jüdinnen und Juden in kleineren und größeren Einwanderungswellen nach Dänemark gekommen. Sie stammen aus einer Vielzahl verschiedener Länder und haben sehr unterschiedliche Familiengeschichten und Traditionen mit ins Land gebracht.

Heute leben etwa 6000 jüdische Menschen in Dänemark — genaue Zahlen sind nicht bekannt, da der dänische Staat die religiöse und ethnische Zugehörigkeit seiner Bürger/innen nicht erfasst. Die mit Abstand größte Gruppe dänischer Jüdinnen und Juden lebt in Kopenhagen, es gibt aber auch Gruppen in Aarhus und Odense.

Die ersten Einwanderer jüdischen Glaubens – in erster Linie Kaufleute und Handwerker — kamen auf Einladung König Christians IV. nach Dänemark, der Handel und Wirtschaftsleben einen neuen Impuls verleihen wollte. Viele kamen aus den norddeutschen Hansestädten — und aus dem damals zu Dänemark gehörenden Altona bei Hamburg.

Sephardische Juden

Unter den ersten jüdischen Einwanderern in Dänemark waren Jüdinnen und Juden mit portugiesischen und spanischen Wurzeln, die die sephardische Tradition pflegten. Ihre Vorfahren mussten ins Exil, als Spanien im Jahr 1492 und später auch Portugal seine jüdische Bevölkerung des Landes verwies. Sie hielten jedoch an ihrer Kultur fest — einige auch an der Sprache Ladino, einer Mischung aus Spanisch und Hebräisch. Die sephardische Gruppe blieb jedoch immer eine relativ kleine Gruppe unter den dänischen Juden. Zu den sephardischen Familien in Dänemark gehörten: Henriques, Unna, Mendola, de Meza.

Aschkenasische Juden

Der Großteil der frühen jüdischen Einwohner Dänemarks hatte seine Familienwurzeln in Deutschland, wo seit dem frühen Mittelalter Juden gelebt hatten. Die deutschen Juden sprachen Jiddisch — Deutsch gemischt mit hebräischen Wörtern. Ihre religiösen Traditionen unterschieden sich in einigen Punkten von jenen der Sephardim.

Zu den deutsch-jüdischen Familien Dänemarks gehören: Marcus, Cantor, Melchior, Nathan, Bohr, Metz, Trier, Goldschmidt.

Lange Zeit lebten nur ein paar Hundert jüdische Familien in Kopenhagen und darüber hinaus in kleinen jüdischen Gemeinden in Fredericia, Aalborg, Randers, Aarhus, Horsens, Fåborg, Assens, Odense, Nakskov und Slagelse. Die jüdische Bevölkerung wuchs nur sehr langsam, etwa wenn neue Ehepartner nach Dänemark zogen. Ehen wurden über Familiennetzwerke in Deutschland und anderen Nachbarländern arrangiert.

Bei der Volkszählung von 1787 wurden in Kopenhagen 1600 Juden registriert; die meisten lebten unter ärmlichen Verhältnissen. Als die dänischen Juden jedoch im 19. Jahrhundert Bürgerrechte erhielten, stiegen viele von ihnen rasch in das gut situierte Bürgertum auf. 

Russische Juden

Um das Jahr 1900 erlebte Dänemark eine neue Einwanderungswelle: Jüdinnen und Juden, die vor Armut und Verfolgung in Russland und Osteuropa flohen und auf dem Weg nach Amerika waren, kamen ins Land. Viele von ihnen traten die Überfahrt in die neue Welt jedoch nie an und etwa 3000 ließen sich dauerhaft in Kopenhagen nieder. 

Die russischen Juden kannten die gleichen Traditionen wie ihre dänischen und aschkenasischen Glaubensgenossen. Im Gegensatz zu diesen entstammten die meisten russischen Juden jedoch der Arbeiterklasse und viele waren nicht religiös. In der Regel waren es überzeugte Sozialisten und Sozialdemokraten, die außerdem engagiert ihr jüdisches Kulturerbe pflegten. Sie lebten unter ärmlichen Verhältnissen in Kopenhagen, gründeten aber Bibliotheken, Theater und Kulturvereine und richteten auch eigene Synagogen ein. 

Im Laufe einiger Generationen stiegen die russischen Juden in die dänische Mittelschicht auf. Heute bilden ihre Nachkommen den Kern des jüdischen Lebens in Dänemark. Zu den russisch-jüdischen Familien gehören: Bodnia, Krasnik, Margolinsky, Pundik, Koppel, Kurland, Blüdnikow, Besekow.

Deutsche Flüchtlinge

In den 1930er-Jahren kamen einige Tausend deutsche Juden auf der Flucht vor dem Nazi-Regime nach Dänemark. Im Oktober 1943 flüchteten sie zusammen mit den übrigen dänischen Juden weiter nach Schweden. Ein Teil kehrte später nach Dänemark zurück.

Zweiter Weltkrieg — Rettung der dänischen Juden

Während der Besatzung im Zweiten Weltkrieg kam die nazistische Judenverfolgung auch nach Dänemark. Glücklicherweise schaffte es der Großteil der jüdischen Gemeinschaft mithilfe der dänischen Mitbürger sich über den Öresund nach Schweden zu retten. 44 starben auf der Flucht und 53 der insgesamt 472 Juden, die verhaftet und in Konzentrationslager der Nazis deportiert worden waren, kamen ebenfalls um.

Polnische Juden 

Im kommunistischen Polen war die jüdische Bevölkerung Diskriminierungen ausgesetzt. 1968 suchten etwa 2000 polnische Juden Zuflucht in Dänemark. Wie die russischen Juden, die etwa 70 Jahre früher angekommen waren, waren die polnischen Neuankömmlinge nicht religiös, hatten aber eine ausgeprägte jüdische Identität. Viele sprachen Jiddisch und hatten eine solide jüdische Schulbildung durchlaufen.

Die polnischen Jüdinnen und Juden verteilten sich auf ganz Dänemark und wurden schnell in die dänische Gesellschaft integriert. Die ursprüngliche polnisch-jüdische Gruppe nimmt heute eine herausragende Rolle im dänisch-jüdischen Leben ein.

Israelische Juden

Nach der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 sind etwa 2000 dänische Juden dorthin ausgewandert. Aber auch in die andere Richtung fand eine Migration statt: Heute leben viele Israelis in Dänemark. Vielen von ihnen sind dänisch verheiratet und ein Teil lebt außerhalb der großen Städte. Die israelischen Jüdinnen und Juden in Dänemark haben sehr unterschiedliche Wurzeln, denn die israelische Bevölkerung setzt sich ihrerseits aus einer Vielzahl von Immigranten zusammen — aschkenasischer, sephardischer und orientalischer Herkunft, und nicht selten gibt es eine Mischung unterschiedlicher Einflüsse.

Und alle anderen … 

Bei anderen jüdischen Menschen war es die individuelle Lebensgeschichte, die sie nach Dänemark geführt hat — etwa aus den USA, Großbritannien, Südafrika, der Ukraine und vielen anderen Ländern.

Selbst die kleine dänisch-jüdische Gemeinschaft ist also eine bunt zusammengesetzte Gruppe.


  • Heidi Laura ist Kulturjournalistin und schreibt für verschiedene dänische Medien. Außerdem ist sie Autorin mehrerer Bücher, unter anderem über das Judentum. Der hier wiedergegebene Artikel erschien zuerst auf der Website der jüdischen Gemeinschaft in Dänemark unter dem Titel „De danske jøder“.
    Deutsche Übersetzung: F. Gabel.